Therapiepraxis Balance'Concept (2014)
Kevin, 23 Jahre
Der Klient kommt wegen unerklärlicher Bauschmerzen und einer Essstörung in meine Praxis.
Er lebt mit seiner Freundin zusammen. Zu seinem Bruder und dessen Frau besteht ein guter Kontakt, ebenso wie zu seinen Eltern. Kevin ist wohlbehütet aufgewachsen.
Mir gegenüber sitzt ein sehr freundlicher, junger Mann, der mit großer Motivation in die Praxis gekommen ist. Im Gespräch ist Kevin aufgeschlossen, klar strukturiert und mir zugewandt.
Kevin ist KFZ-Mechatroniker und arbeitet in einer KFZ-Werkstatt. Im anamnestischen Vorgespräch stellt sich heraus, dass er seit längerer Zeit an unerklärlichen Bauschmerzen leidet und sehr kontrolliert isst. Er hat auch einige Kilo abgenommen. Nach seiner Erfahrung treten die Bauschmerzen immer dann auf, wenn in der Woche ungewöhnliche, unerwartete Situationen auftreten – das kann privat sein oder auch im Zusammenhang mit seinem Arbeitgeber stehen. Die privaten Situationen sind Familienfeiern, bei denen er dann auch bewusst auf die Nahrungsaufnahme achtet, d. h. wenig isst. Mittlerweile besteht die Tendenz, Familienfeiern zu meiden. Bauchschmerzen bei der „Situation Arbeitgeber“ bedeutet, dass er schon morgens bei der Hinfahrt Bauschmerzen hatte. Das führte häufiger dazu, dass er umdrehte, zum Arzt ging und sich krank meldete.
Wegen der Bauschmerzen haben diverse ärztliche Untersuchungen stattgefunden. Körperlich gibt es keinen Befund.
Im weiteren Verlauf des Gespräches geht es darum, herauszufinden, ob es in der Erinnerung markante, negative Bilder gibt, die im Zusammenhang mit Essen stehen. Ebenso muss die Situation am Arbeitsplatz genauer ausgeleuchtet werden.
Es stellt sich heraus, dass Kevin vor einem Jahr bei einem gemeinsamen Essen mit der Freundin in einem Restaurant eine Nahrungsmittelvergiftung erlitten hatte. Er musste sich noch im Restaurant heftig übergeben. Im Weiteren wird deutlich, dass bei seinem Arbeitgeber seit 1,5 Jahren ein ständiger Mitarbeiterwechsel herrscht. Die Leistungsvorgaben sind nicht zu schaffen. Ein wertschätzender Umgang mit den Mitarbeitern besteht nicht.
Verdachtsdiagnose: Somatoforme Störung, F 45.0
Therapieverlauf
Bei der ersten Sitzung verankere ich bei Kevin das Bild einer Ruhe- und Entspannungssituation, die von ihm selbst gewählt wurde. Das ist erforderlich, da die Therapie in einer leichten Trance erfolgt. In diesem Zustand ist es leicht, negative und belastende Bilder (und die damit verbundenen Gefühle) zu verändern. Es kann aber vorkommen, dass bei der Arbeit mit inneren Bildern der Klient aufgewühlt wird. Dann würde ich den gesetzten Ruheanker auslösen um den Klienten wieder in einen ausgeglichenen Zustand zu führen.
Kevin kommt zur 2. Sitzung (nach einer Woche) und berichtet, dass es ihm schon besser geht. Er hat nur einmal Bauschmerzen gehabt, allerdings in geringerer Intensität, er denkt weniger über Essen nach. Von seiner Freundin bekommt er positive Rückmeldungen, dass sie eine Veränderung an ihm beobachtet. Ich verändere in einem leichten Trance-Zustand das Bild der Situation „Nahrungsmittelvergiftung im Restaurant“ dergestalt, dass Kevin nach dem Essen – ohne sich zu übergeben – gesund und mit einem guten Gefühl zusammen mit seiner Freundin zum Auto geht.
In der 3. Sitzung (nach abermals 1 Woche) erzählt der Klient, dass er keine Bauchschmerzen mehr hat. Nach eigenen Angaben hat er das Gefühl, aktiver geworden zu sein und mehr Power zu haben. Er hat sich bei einer anderen Firma beworben. Ich wiederhole die Tranceinduktion der 2. Sitzung (Restaurant).
3 Wochen später, in der 4. Sitzung erzählt Kevin, dass er keine Bauchschmerzen mehr hat – eher das Gefühl einer „inneren Aufgewühltheit“. Über Essen denkt er gar nicht mehr nach. Ich verankere in einem leichten Trancezustand das Bild einer positiven Erfahrung mit seinem jetzigen Arbeitgeber.
In der 5. Sitzung nach weiteren 2 Wochen erzählt der Klient, dass keine Schmerzproblematik mehr besteht. Sein Essverhalten empfindet er als normal. Ich versetze Kevin in einen leichten Trancezustand und suggeriere ihm, dass eine Karte mit der Aufschrift „Bauchschmerzen“ auf seinem Bauch liegt. Er kann die Farbe der Karte und die Farbe der Schrift benennen. Ich suggeriere ihm, dass die Karte durch einen plötzlichen Windstoß verschwindet. Die Karte verschwindet.
Nach weiteren 3 Wochen kommt der Klient zur 6. und letzten Sitzung. Ihm geht es gut. In Kürze fängt er bei einer anderen KFZ-Werkstatt an. Ich versetze Kevin in einen leichten Trancezustand und suggeriere ihm Elemente seiner eigenen Persönlichkeit: Kompetenz zu offener und klarer Kommunikation, Kompetenz als Mechatroniker, Stärke. Kevin berichtet von seinen persönlichen Zielen für die nächsten 3 Jahre: Er möchte nach der Probezeit zusätzlich eine Ausbildung zum Servicetechniker beginnen, er will sich nicht mehr dauerhaft überfordern lassen, er möchte eine Immobilie erwerben.
Kevin geht es jetzt gut. Er fühlt sich in seiner neuen Firma sehr wohl. Ich halte für die Dauer eines Jahres Kontakt zu meinen Klienten. Daher kann ich diese Aussage treffen.
Fazit
Bei der hier vorliegenden Somatoformen Störung war es erforderlich, schnell die auslösenden Faktoren zu identifizieren. Sehr hilfreich war die klare Struktur des Klienten und die kritische Auseinandersetzung mit sich selbst. Eine positive Veränderung der maßgeblichen inneren Bilder und der damit verbundenen Gefühle haben strukturell vieles bewirkt. Nach meiner Erfahrung ist die ursprüngliche psychische Störung behoben.
Rainer Wieckhorst
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